Der Kapellmeister – September 1924: „Zielvolle Pflege wertvoller Melodien“

von Paul Lohberger

„Keine Stadt der Welt hat eine so geniale musikalische Vergangenheit aufzuweisen, wie das lieblich am breiten Bande der Donau und an den sanft grünenden Hügeln des Wienerwaldes hingeschmiegte Wien. In diesem blühenden Kranz von Naturschönheiten lag auch einst die Seele seiner Musiker.“

So schreibt Bert Silving, der sich vor seiner Zeit bei beim Radio in Wien als Schubert Imitator etabliert hatte. Der Text stammt aus dem Geleitwort der ersten Ausgabe von „Der Kapellmeister“, die Zeitschrift gab Silving 1924 für kurze Zeit heraus.

Er leitete ein Ensemble, das mehrfach täglich die für die Zeit typischen „ernst-heiteren“ Musikstrecken bestritt. Seine Funktion und sein Wirken sah Silving ganz im Dienste und Geiste der großen Wiener Musiktradition, die er in die Gegenwart zu führen trachtete.

„Der moderne Kapellmeister hat neben seinem Broterwerb, im Sinne dieser vorläufig noch nicht zahlreichen Wortführer einer neuen Volksmusikepoche, eine große Mission zu erfüllen. Seine Aufgabe ist es, die große Masse der Zuhörer durch eine zielvolle Pflege wertvoller Melodien dem seelenlosen Rhythmus abspenstig zu machen und sie der Kunst, die doch der Spiegel der Seele und des Herzens sein soll, wieder in die Arme zurück zu führen.“

Mit diesen Worten empfahl sich Bert Silving ausdrücklich als Kapellmeister für den Rundfunkbetrieb – bezeichnenderweise erschien die besagt Zeitschrift nur kurz, gerade als Radio Hekaphon der Sender, der Silving zurerst beschäftigt hatte, den Betrieb einstellte. Dass ab Oktober die RAVAG Silving in ihre Dienste nahm, könnte mit ein Grund gewesen sein dafür, dass „Der Kapellmeister“ nicht weiter erschien. Im DokuFunk Archiv in Liesing findet sich eines der wenigen Exemplare der Zeitschrift, die uns zeigt: Die historische Musikstadt erfanden nicht erst die Nazis oder der Heimatfilm der 1950er – das große Erbe, die Inspiration, die schon in der Luft liegt, die Wienerstadt als Nährboden genialer Musikproduktion wurde schon in der Ersten Republik „besungen“, auch von einem jüdischen Rundfunkkapellmeister.